ERSTER OZEANFLUGVERSUCH

 

Da brachte das Jahr 1927 mit seinen ersten Ozeanflügen, die im Nonstop-Flug über den Atlantik führen sollten, etwas Neues. Nungesser und Coli starteten ins Ungewisse und blieben verschollen. Die Welt trauerte um die kühnen Piloten, die bei dem Versuch, eine Brücke über die Wasserwüste des Atlantik zu schlagen, den Tod gefunden hatten. Dann glückte Lindberghs weltgeschichtlicher Flug nach Paris .

Nun saßich nächtelang über den Karten und rechnete. Jeden Versuch verfolgte ich mit größter Spannung und interessierte mich vor allem für die Gründe, die so viele dieser mutigen Unternehmungen zum Scheitern brachten. Es war immer wieder das eine : die Nacht. Sie vollendete das Schicksal so vieler, die auszogen und nicht wiederkehrten. Hier war ein Problem, das mir der Lösung wert erschien.

In jener Nacht, als wir auf dem Tempelhofer Feld die Ankunft des amerikanischen Fliegers Chamberlin erwarteten, der uns dann leider im Stich ließund in Cottbus landete, entschied sich mein Schicksal. Jetzt, wo sich die Besten aller Nationen bemühten,

den Ozean zum ersten Male in ostwestlicher Richtung zu bezwingen, durften wir alten deutschen Kriegsflieger nicht fehlen. In den langen Stunden vergeblichen Wartens wurden wir uns klar darüber, daßein solcher Flug mit einer deutschen Maschine und deutschem Motor gemacht werden mußte. Und wenn uns das Wagnis nicht glücken sollte, dann war es für uns jedenfalls ehrenvoller, den Fliegertod zu sterben, als abseits zu stehen und überhaupt nicht an diesem Wettbewerb der Nationen beteiligt zu sein.

Der Entschlußwar gefaßt. Auch jetzt war es wieder Gotthart Sachsenberg, der meinen Plan förderte. Er war inzwischen Direktor bei den Junkers-Flugzeugwerken geworden. Da wir mit einer Junkers W 33 fliegen wollten, war seine Hilfe außerordentlich wertvoll. Die nun einsetzenden Verhandlungen wurden nervenaufreibend.

Während man in Dessau an der Verbesserung und Spezialausrüstung der Maschine arbeitete, mußte in Berlin die Finanzierung betrieben werden. Dadurch, daßsich der Norddeutsche Lloyd sehr für unser Vorhaben interessierte und es tatkräftig förderte, lernte ich Ehrenfried Günther Freiherrn v. Hünefeld kennen, der in Dessau die Verhandlungen für die Schiffahrtsgesellschaft führte. Zwei Flugzeuge, die „Bremen" und die „Europa", wurden gekauft, und ein paar Tage später fanden wir uns als Besatzung der „Bremen" zusammen.

Die technischen Vorversuche, bei denen es vor allem darauf ankam, festzustellen, wie stark sich die Maschinen belasten ließen, führte der Pilot Loose durch. In der Kabine waren Wassersäcke aufgehängt worden, die von Start zu Start mehr gefüllt wurden. Vor der Landung wurde dieses Wasser wieder abgelassen. Als so die Grenze der Belastungsmöglichkeit erreicht worden war, starteten Loose und Ristics, um den von Chamberlin gehaltenen Dauerweltrekord zu brechen. Nach einem heillos gefährlichen Start beim ersten Morgenlicht pendelten sie zwischen Dessau und Leipzig hin und her, bis sie infolge einer Störung an der Betriebstoffleitung in der Nacht zur Notlandung gezwungen wurden.

Trotz dieses Mißerfolges ließen wir uns nicht abschrecken. Erst, wenn der Angriff auf den Weltrekord geglückt war, wollten wir zum Flug über den Atlantik antreten. Der zweite Versuch, diesen Rekord zu brechen, sah beide Maschinen am Start. Ristics und Edzard gelang es mit der „Europa" nach einem 52stündigen Fluge, den Amerikanern den Dauerweltrekord zum ersten Male zu entreißen und an Deutschland zu bringen. Loose und ich in der „Bremen" hatten Pech.

Nach etwa drei Stunden versagte der eine Magnet unseres Motors. Da wir mit dem zweiten, noch heil gebliebenen unmöglich zwei Tage in der Luft bleiben konnten, mußten wir uns zur Landung entschließen. Aber unsere Tanks waren noch voll. Bei der Landung mit einer so schwer beladenen Maschine liefen wir Gefahr, Bruch zu machen. Um das Flugzeug zu retten, kletterte ich in das Innere der Kabine, öffnete die großen Betriebsstofftanks und ließdas Benzol auslaufen. Was wir jedoch vorher mit Wasser erprobt hatten, klappte mit dem Benzol nicht.

Durch den ungeheuren Luftzug wurde der ausströmende Betriebsstoff wieder in das Innere der Kabinen hineingezogen, und ich geriet in die ausströmenden Benzolgase. Lange konnte ich in dieser Atmosphäre nicht bei Besinnung bleiben. Zu meinem großen Schrecken bemerkte ich auch, daßdie Gase nach vorn in den Führersitz drangen. Wenn Loose ebenfalls bewußtlos wurde, mußten wir abstürzen. Schnell rißich das seitliche Kabinenfenster auf, sah, daßder Benzol-staub sich wie eine Nebelwolke am hinteren Ende des Flugzeugrumpfes ballte, und spürte bereits das Summen und Brummen, das einer Narkose vorausgeht. Ich versuchte im letzten Moment, die Tanks wieder zu schließen. Dabei brach ich bewußtlos zusammen, blieb im ausströmenden Benzol liegen, und erwachte erst wieder, als ich im Sanitätswagen lag und ins Krankenhaus geschafft wurde. Nur einen Augenblick schlug ich die Augen auf, hörte das Brummen des Motors, sah Bäume vorüberhuschen und dachte: „Herrgott, fliegt der aber niedrig!", denn ich glaubte noch im Flugzeug zu sein. Dann war ich wieder weg. Erst im Krankenhaus kam ich wieder zu mir.

Ich hatte Benzolverbrennungen am ganzen Körper davongetragen, die äußerst schmerzhaft waren. Und jetzt erfuhr ich auch die Zusammenhänge meiner Rettung. Im gleichen Augenblick, als ich bewußtlos zusammenbrach, hatte vorn der Motor versagt. Loose mußte sofort notlanden, und nur diesem zufälligen Zusammentreffen zweier kurz aufeinanderfolgender Motorpannen hatte ich es zu verdanken, daßich bei diesem Abenteuer mit dem Leben davon kam. Acht Tage später war ich so weit wiederhergestellt, daßder erste Versuch, den Atlantik zu überqueren, angetreten werden konnte.

Am 14. August 1927 —einem Sonntag —starteten die „Bremen"und die „Europa" um 5 Uhr 20 Minuten nachmittags mit gewaltiger Zuladung von der 750 Meter langen betonierten Startbahn in Dessau.

Wir kamen glücklich in die Luft, überflogen, solange es noch Tag war, die norddeutsche Tiefebene, und erreichten bei Einbruch der Nacht die Nordsee. Dort hatten sich gewaltige Gewitter zusammengebraut. Die „Europa" geriet hinein, kehrte um und landete bei Nacht auf dem Flughafen in Bremen, wobei die Maschine zu Bruch ging.

Hünefeld, Loose und ich in der „Bremen" witschten durch die Gewitter hindurch und kamen zunächst wieder in besseres Wetter.

Als wir uns aber der Küste von Schottland näherten, ballten sich dicke Nebelwolken vor uns, die vom Meeresspiegel bis auf viertausend Meter Höhe reichten. Wir versuchten, sie mit unserer schwerbeladenen Kiste zu überklettern, gerieten aber plötzlich mitten hinein in den dicken Nebel, und mußten feststellen, daßweder Loose noch ich den Nebelflug beherrschten.

Die Flügel unserer „Bremen" begannen eigenartig zu heulen und zu pfeifen, der Geschwindigkeitsmesser schlug dabei bisweilen über die Skala von 300 Stundenkilometer aus, der Tourenzähler sprang hin und her, der Kompaßdrehte sich wie wild, und der Höhenmesser fiel rapide. Loose rißdie obere Klappe auf und sah in den Nebel hinaus, während ich die scheinbar verrücktgewordenen Instrumente beobachtete. Nur meiner langjährigen Erfahrung als Nachtflieger verdankten wir es, daßwir nicht vollends abschmierten.

Wir machten kehrt und kamen wieder aus dem Nebel heraus. Jetzt bogen wir nach Südwesten aus, überflogen nicht Schottland, sondern England, dort, wo die Insel am schmalsten ist. In strömendem Regen und wildem Sturm kämpften wir uns durch. Schlimm war es, als wir in Bergtäler hineingerieten. Aber wir kamen heil über England hinweg und erreichten im Morgengrauen die Irische See.

Faustdicker Nebel lag über der grünen Insel. Wie weit waren wir schon ? Nichts war zu sehen. Wenn der Nebel über Irland hinwegreichte, war es faul für uns, denn an der Westküste der Insel wußte ich Randgebirge, gegen die wir leicht anrennen konnten. Wir drehten um, flogen wieder auf die See hinaus und umflogen Irland im Süden. Nun sollte der eigentliche Ozeanflug beginnen, aber jetzt schon hatten wir fünf Stunden Verspätung. Wenn wir in ähnlichen Stürmen weiterfliegen müßten, reichte unser Betriebsstoff nur noch knapp bis nach Neufundland, wo die ausgedehnten und gefährlichen Nebelbänke auf uns warteten, die unseren Vorgängern zum Verderben geworden waren.

Der Sieg konnte uns nicht mehr winken; darum beschlossen wir —wenn auch schwersten Herzens —den gleichen Weg zurückzufliegen und landeten nach 22 1/2stündigem Flug glatt auf dem Flughafen in Dessau. Ich war nur zurückgekehrt, weil ich wußte, daßich den Flug ein zweites Mal antreten würde, dann aber besser gerüstet.

Durch die Rückkehr der beiden Maschinen waren die für den Flug getätigten Versicherungen hinfällig geworden. Wollten wir ein zweites Mal fliegen, mußten die gleichen Gelder noch einmal aufgebracht werden. Das gelang uns jedoch nur für eines der beiden Flugzeuge, und es wurde beschlossen, das zweitemal nur noch mit der Bremen zu starten. Die finanziellen „Opfer" waren nicht umsonst gebracht worden, denn auf Grund der Erfahrungen dieses gräßlichen ersten Versuches war es mir möglich, die Vorbereitungen für den zweiten Flug so zu treffen, daßwir mehr Aussicht auf Erfolg hatten.

Wir mußten vor allen Dingen eine Wetterlage abwarten, bei der es wenigstens streckenweise über dem Atlantik Rückenwind gab. Tagtäglich erhielten wir wieder wie bisher von der Hamburger Flugwetterwarte Wetterberichte, aber diese lauteten stets entmutigender. „Auffrischende westliche Winde !", die, je näher der Herbst rückte, immer stärker wurden. —Bis wir dann erkannt hatten, daßdiese Meldungen von der falschen Voraussetzung ausgingen, daßunsere Maschine nur 130 Stundenkilometer machte und nicht 210, wie es in Wirklichkeit der Fall war, war es leider zu spät geworden, den Flug noch im Jahre 1927 zu versuchen. Wir brachen deshalb unsere Vorbereitungen ab und kehrten an unsere Arbeitsstätten zurück.

Als wir damals flach Dessau gekommen waren, und es überall in der Welt bekannt wurde, daßvon dort aus ein deutscher Ozeanflug unternommen werden sollte, waren zahlreiche Berichterstatter und Photoleute erschienen. Wir wurden die Zielscheibe ihrer Aufmerksamkeit und konnten in der Tagespresse viel Vorschußlorbeeren ernten. Es war uns wirklich nicht darum zu tun. Viel lieber hätten wir es gesehen, wenn nichts darüber berichtet worden wäre. Als aber in der Zwischenzeit viele Piloten anderer Länder auf dem Atlantik verschollen blieben oder unverrichteter Sache wieder kehrt machten, schlug die Stimmung um. Es meldeten sich Fachleute, die behaupteten, die Ozeanflugversuche könnten zu keinem Erfolg führen, weil die Zeit noch nicht reif dazu sei. Dieser Ansicht schlossen sich auch unsere amtlichen Luftfahrtorgane an. Als ich wieder zur Luft Hansa zurückkehrte, von der ich ohne Gehalt beurlaubt worden war, bekam ich nichts Angenehmes zu hören. Daßich mich für die Idee eines Ozeanfluges einsetzte, hatte man sehr ungern gesehen.

Hünefeld und ich brachten nun in Erfahrung, daßwir von offizieller Seite keinerlei Unterstützung unserer Pläne zu erwarten hatten. Die Schwierigkeiten, die sich jetzt vor uns auftürmten, als wir an die Vorbereitung unseres zweiten Fluges gingen, waren noch größer als bisher. In aller Stille und Heimlichkeit wurde die Neufinanzierung unseres Planes betrieben. Hier war es vor allem mein treuer Freund Hünefeld, der mit seiner scharfen Feder und seinem noch schärferen Wort auch das Unmöglichste möglich machte. Er ganz allein bettelte bei Bremer Kaufleuten, dem Norddeutschen Lloyd und der Hamburg-Amerika-Linie die notwendigen Gelder zusammen, und es bleibt sein unvergängliches Verdienst, daßer durch die Schaffung der finanziellen Grundlagen unseren Flug ermöglichte.

Während er damit beschäftigt war, traf ich in den Wintermonaten die technischen Vorbereitungen, studierte alle bisherigen Ozeanflug-versuche noch einmal, und suchte nach Mitteln, wie sich den über dem Ozean und über Neufundland lauernden Gefahren am besten begegnen ließ.

Auf die Navigierung mußten wir den größten Wert legen, dann aber auch darauf Rücksicht nehmen, daßdie Übermüdung einer der gefährlichsten Feinde des Fliegers ist. Wir durften deshalb beim zweitenmal den Bogen nicht zu sehr überspannen. Es kam ja nicht darauf an, von Berlin nach New York zu fliegen, sondern als die ersten den Nordatlantik von Osten nach Westen zu überqueren. Für den sicheren Erfolg war es darum notwendig, möglichst nahe an die Küste des Atlantik heranzugehen. So entschieden wir uns für Irland und fuhren in den ersten Monaten des Jahres 1928 hinüber

zur grünen Insel, die wir schon einmal bei Nacht und Nebel und Sturm aus der Luft kennengelernt hatten.

Da an der Westküste sich Randgebirge erhoben, mußten wir im Osten nach einem geeigneten Startplatz suchen. Im Jahre 1927 hatte der Schotte McIntosh mit einem irischen Flieger namens Fitzmaurice von Baldonnel in der Nähe von Dublin aus einen Ozeanflugversuch unternommen. Sie kehrten aber nach neun Stunden wieder zurück. Wenn sie mit ihrem einmotorigen Fokker weggekommen waren, mußten wir mit unserer sicherlich noch besseren „Bremen" dort ebenfalls starten können. Wir besichtigten den Platz und entschlossen uns, ihn zum Start zu benutzen, da sich nichts Besseres finden ließ. Ideal war er nicht.

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