In Irland — Die Nacht vor dem Start — Aufstieg im Morgengrauen — Das letzte Lebewohl — Wasser ohne Ende — Ein kritischer Augenblick — Gott ist mit uns

Das Wetter nach unserem Eintreffen in Irland war so denkbar schlecht, daß auch unsere mutigen Entschlüsse sich nicht dazu herbeilassen konnten, den Flug anzutreten. Auf dem Flugplatz Baldonnel war infolge der langen Regentage der Boden so aufgeweicht, daß an einen Start mit einer schweren Maschine ohne eine künstliche Zement- oder Holzbahn gar nicht zu denken war. Die Herrichtung einer solchen Bahn hätte sicher Wochen in Anspruch genommen; deshalb war es besser, auf die liebe Sonne zu warten, die in zwei bis drei Tagen die ganze Arbeit mit ihrer Wärme leisten konnte.

Am 9. April schien es so, als würde eine Besserung des Wetters eintreten. Die Meldungen vom britischen Luftministerium waren aber vom Ozean selbst noch nicht so, daß wir auf einigermaßen günstige Witterungsverhältnisse rechnen konnten. Erst am 11. April meldete uns das britische Air Ministry, daß nun auch das Wetter auf dem Ozean sich zu bessern scheine. Als am 11. April abends sich diese Aussichten mehr und mehr verdichteten, entschlossen wir uns für den Start am 12. April. Die Wetterlage in Baldonnel selbst war eigentlich für den Start am bedenklichsten. Sonst aber herrschte über dem größten Teil des Ozeans eine Wetterlage, bei der in der östlichen Hälfte ein Hoch in Bildung begriffen war. Die starken Winde der letzten Tage hatten nachgelassen, sie betrugen an der Wasseroberfläche nur mehr 20 bis 25 Meilen die Stunde. Es war wohl möglich, daß der Wind weiter abflaute. Etwas ungünstiger war die Wetterlage auf dem Westteil des Ozeans und zwar östlich und nördlich von Neufundland. Von dorther war uns starke niedrige Bewölkung gemeldet worden, die nach Süden bis New York reichte. Ausgedehnte Regenzonen waren zwischen Labrador und New York. Zwischen Grönland und Kanada war ein Tiefdruckgebiet, das sich scheinbar nach Süden schob. Dieses konnte uns gefährlich werden, da es zu dem Zeitpunkt, an dem wir in die Nähe der Neufundlandküste kamen, am Abend des 12. April, wahrscheinlich weiter nach Süden vorgeschritten war. Ich war mir bewußt, daß dieser Umstand ein heikler Punkt für die Durchführung des Fluges war, und es wäre zu erwägen gewesen, ob auf Grund dieser Nachricht der Flug nicht doch noch etwas verschoben werden mußte. Da ich aber nach all meinen bisherigen Beobachtungen festgestellt hatte, daß ein Ost-West-Flug wohl niemals, ohne ein größeres oder kleineres Tief zu durchfliegen, stattfinden könnte, so ließen wir dieses Moment nicht ausschlaggebend sein für die Entscheidung, ob geflogen werden sollte oder nicht.

 

 

Für den vorliegenden Fall rechnete ich allerdings bei Neufundland mit schlechtem Wetter und legte mir noch am Vorabend den Kurs fest, der gegebenenfalls dort zu fliegen war. Am Abend des 11. April herrschte in Baldonnel ein frischer Südwind, der für den Start in der von uns vorgesehenen Richtung recht günstig war. Wir hofften, daß dieser Wind noch bis zu den Stunden des Starts anhalten würde.Nachdem wir in der Messe des Baldonnel-Fliegerkorps einen kurzen Abendimbiß eingenommen hatten, verweilten wir im ruhigen Gespräch noch eine Stunde am gemütlichen Kaminfeuer. Gegen 9 Uhr abends gingen wir zu Bett. Den Schlaf zu finden war nicht ganz einfach. Ich hatte vorher schon versucht, durch ein Glas Stout mehr als sonst mirleichter in den Schlaf zu helfen. Aber der ruhige Schlaf stellte sich doch nicht so leicht ein wie sonst. Im selben Raum mit mir schlief mein hochgeschätzter Freund, der Ingenieur der Junkers-Werke in Dessau, Herr Schünzinger. Sein ruhiges Gewissen ließ ihn lange vor mir entschlummern. Ich mußte seine ruhigen Atemzüge noch lange hören, bis auch bei mir sich ein leichter, aber unruhiger Schlaf einstellte. Ich hatte vor dem Flug, vor dem Start, und all den tausend Möglichkeiten, die auftraten, doch etwas Herzklopfen. Ich glaubte im unruhigen Schlaf dieses deutlich zu hören. Ob es Angst oder Erregung war, will ich selbst nicht entscheiden. Begreiflich ist vor solchem Start etwas Angst sicherlich. Es steht ja so unendlich viel auf dein Spiel, und wie schon vorher erwähnt, waren so manche Momente noch vorhanden, die Angst aufkommen lassen konnten, so manches gänzlich Ungeklärte, wie die Eisnebel von Neufundland, die Weststürme und Zyklone des Ozeans, die im Ost-West-Flug so sehr verlängerte Aprilnacht ohne Mondschein und dann letzten Endes die Frage, oh der Motor durchhalten würde. Wird die „Bremen" allen Wetterlagen gewachsen sein? Wird sie in Schnee und Eis bestehen können? Es brauchte ja nur irgendeine Kleinigkeit zu passieren, eine Stelle der Wasser-, Öl- oder I3enzinleitung defekt zu werden und der Tod war unvermeidlich. Eine Rettung, auf weitem Ozean treibend, war wohl kaum zu erwarten, wenn das Flugzeug niedergehen mußte, da wir ja die nördliche Route wählten, auf der jahraus, jahrein kaum ein Dampfer fährt, ganz besonders nicht in dieser frühen Jahreszeit.

Diese Gedanken alle entschlummerten mit mir und ließen auch im Schlaf mich auf meinem Feldbett noch herumwälzen. Immer wieder kamen mir die vielen Totenreden, die mir von meinen ehemaligen Berliner Vorgesetzten gehalten wurden, die vielen Warnungen, die mir von meinen Freunden gegeben wurden, in den Sinn und zeigten sich im Traume als schwarze Schreckensgespenster. So brachte mir denn die letzte Nacht nicht den Schlaf, der eigentlich für die lange Reise und für die Kämpfe, die mir bevorstanden, notwendig gewesen wäre. Am meisten Angst hatte ich eigentlich vor dem Start. Und wenn die Gespenster des Ozeans verschwanden, so gingen mir der Reihe nach alle die Punkte durch den Kopf, die ich beim Start beobachten wollte und das, was am meisten dazugehörte, die Ruhe, die fand ich dadurch nicht. Ich hatte ja eigentlich bisher mit einer so schweren Maschine noch nicht gestartet und was mir alles über den Start mit der schweren überlasteten Maschine gesagt worden war, das war nicht gerade dazu angetan, meinen Optimismus zu heben. Und Optimismus war für ein solches Unternehmen Vorbedingung.

Trotz allem Wagemut, der mir zugeschrieben wird, bin ich, solange die Möglichkeit dazu besteht, sehr bedacht und vorsichtig. Ich ließ mir immer wieder und wieder durch den Kopf gehen, ob nicht doch irgendein Irrtum meinerseits vorläge, wenn ich nach meinem Empfinden beim Start keine so großen Schwierigkeiten sah.

Aus unruhigen Träumen weckte mich der wachthabende Kapitän des Lagers, der die Nacht überhaupt nicht ins Bett gegangen war. Meine erste Frage an ihn war: „Was für Wind?" „Kein Wind!" war die Antwort. Davon war ich nun gerade nicht besonders entzückt. Denn diese Tatsache brachte natürlich auch bei mir die größten Bedenken für das Gelingen des Startes mit sich. Ich hatte doch immer mit etwas Südost-Wind gerechnet, der ja auch die letzten Tage über so unverdrossen blies.

Die theoretische Möglichkeitsgrenze war durch diese unangenehme Tatsache an die äußerste Grenze gerückt. Meine Augen suchten selbst durchs Fenster nach dem Wind, aber im nächtlichen Dunkel konnte ich noch nichts feststellen. Stattdessen sah ich unseren Freund, den Berichterstatter Jenkewitsch, der mit ernsten Augen das Erwachen der Helden des kommenden Tages beobachtete, um später darüber der lauschenden Welt berichten zu können. Es war noch sehr früh, und nicht der leiseste Schimmer des kommenden Tages zeigte sich am Horizont. Um 3.45 sprang ich aus dem Bett. Im frischen Wasser verjagte ich die dunklen Träume der Nacht. Der unruhige kurze Schlaf hatte mich doch so erfrischt, daß auch mein alter Mut zum Durchbruch kam. Mein Herz, das im unruhigen Schlummer ängstlich gepocht hatte, war wieder ruhig. Die frische Morgenluft und der nun leise dämmernde erste Morgenschimmer machten mich so frei und froh wie noch nie. Jetzt waren all die schlimmen Winke und freundlichen Warnungen wie weggefegt. Unbegreiflich erschien es mir, was mich die ganze Nacht an trüben Gedanken und schlimmen Ahnungen im Halbschlummer quälen konnte. Es war mir so tatendurstig und hoffnungsfroh zumute. Meine Gedanken flogen zurück zur Heimat. Dir, liebes Deutschland, will ich dienen und helfen und dich, du schöne Welt, will ich mir erringen! Nun können sie alle kommen, die gewaltigen Mächte, Sturm, Wellen, Nacht und Nebel, ich will mich vermessen, mit euch zu ringen, oder sterben im Kampf mit den Elementen.

Ich brauchte nicht lange zum Anziehen und beeilte mich, zum Frühstück in die Offiziersmesse zu kommen. Dort waren schon alle die lieben und tapferen irischen Kameraden beim Frühstück versammelt, die zum Teil in der Nacht überhaupt nicht zu Bett gegangen waren. Das kräftige Frühstück bestand aus drei Eiern, Tee und Butterbrot. Die Ergänzung des Frühstücks durch Obst war erst nach dem Abflug vorgesehen und in der Maschine verstaut.

Mein Tagebuch, in das ich alle die Wetterbeobachtungen bisher eingetragen hatte, schloß ich ab und schrieb auf die letzte Seite eine Million Grüße und Küsse an mein Heldenfrauchen zu Hause. Ich übergab es dann im Briefumschlag meinem Freund Schünzinger zur Weiterbeförderung an meine Frau.

Nun ging's zum Flugzeug. Einige Unbekannte nahmen mich in ihrem Auto mit zum Flugplatz, wo sie mir beim Verlassen des Wagens noch kräftig die Hand schüttelten. Die Tatsache, daß ich der Captain Köhl war und dies dem Posten in vollster Überzeugung sagen konnte, ließ mich schnell durch die Postenkette hindurchkommen.

Vor mir stand, silbergrau glänzend, im ersten Morgenzwielicht zwischen den großen Flugzeughallen aufgebaut, die „Bremen". Ich ging zu ihr und lieb wie ein Kind streichelte ich den schlanken Propeller. In Gedanken sagte ihm: „Du und ich, wenn wir beide nicht versagen, dann wird es glücken." Mutig blitzte mich des Propellers helles Funkeln an.

Nun kam noch vor dem Unternehmen Begrüßung und Abschiednehmen. Dem irischen Staatspräsidenten und seinen Damen durfte ich die Hand schütteln. Unser deutscher Generalkonsul und viele andere liebe Bekannte drückten mir noch schnell die Hand und sagten mir „Auf Wiedersehen".

Fünf Minuten vor fünf war es, als ich in die „Bremen" kletterte. Dort richtete ich mich in aller Ruhe häuslich ein und brachte die vielen Kissen, Thermosflaschen und Paketchen, die alle auf dem zweiten Sitz aufgetürmt waren, fein säuberlich so an Ort und Stelle, daß sie während des Fluges von meinem Sitz aus zu erreichen waren.

Der Start war auf fünf Uhr angesetzt, aber es war doch noch nicht ganz so hell, daß ich die Fähnchen, welche entlang der Startbahn aufgebaut standen, sehen konnte. Deshalb warteten wir noch etwas mit dem Start. Ich hoffte auch immer noch auf aufkommenden Südwind; denn der Windwimpel hing hoffnungslos schlapp herunter. Deshalb machte ich mich auch auf einen langen, langen Start gefaßt, Es war ein richtiges Pech. Alle die vielen Tage hatte ein Wind geblasen, der uns fast die Kleider vom Leibe riß und nun:Windstille, Windstille. — Um 5.10 drehten Weller und Lengrich mit sehnigen Händen den Propeller an. Auf das dritte „Frei" sprang er an und sollte nun nimmer ruhen, bis er nach trotzigem Ringen mit den Elementen auf Greenly Island die dünne Eisdecke zerhieb.

Hünefeld war inzwischen auch eingestiegen. Er verstaute den mitgenommenen Proviant in der Kabine. Meinem Freunde Fitzmaurice hatte ich noch fünf Minuten Urlaub gegeben, damit er nochmals von Weib und Kind Abschied nehmen konnte. Als er damit fertig war, stieg auch er mit ein. — Wir waren reisefertig.

Zuerst wurde der Motor abgebremst. Er lief regelmäßig und machte seine normalen Touren, die von ihm gefordert wurden, 1375 in der Minute. Beide Magnete wurden geprüft, sie waren gut. Ich nahm nochmals den Gashebel zurück. Fitzmaurice und ich zählten an unseren fünf Fingern ab, ob alle Hähne richtig gestellt waren, ob der Benzintank voll war und ähnliches mehr. Wir sahen uns an und nickten, und nun kam der Augenblick, in dem wir den Gashebel vorschoben.

Von draußen her blickten mich voll ernsten Glaubens die übernächtigten Augen unseres lieben Weller an. Ernst waren sie und alle die vielen Augen der Anwesenden, die gespannt den Ereignissen folgten.

Jetzt hatte ich keine Furcht mehr, mir hüpfte das Herz vor Freude, denn endlich war es wieder einmal so weit: Auf zum Kampf und Sieg, für der Luftfahrt schnelleres Werden, für der Menschheit Friedenswerke!

„Lieber Gott, nun hilf du mir". — Ich fragte nochmal; „Klötze weg?" „Frei!" schallte es von draußen, und langsam schoben wir den Gashebel vorwärts. Erst langsam, dann aber immer schneller setzte sich die „Bremen" in Bewegung. Sie will schon gleich zu Anfang links ausbrechen. Die gefährliche Bahn zwischen den großen Hallen ist zurückgelegt, nun geht es hinaus in die weite Welt. Nochmals will die „Bremen" ausbrechen, vor dem in schmaler Breite ausgefüllten Graben will sie links weggehen. Ich drehe stark dagegen, sie gehorcht und kommt langsam, langsam auf die richtige Bahn. Sie hat nun mehr Fahrt und nun gehorcht sie immer. Geradeaus den Fähnchen entlang geht es, hinweg über die vielen Stellen, die ich so oft abgegangen bin und die ich so genau kenne wie meine Hosentasche. Aber bei 400 Meter, wenn auch wenig, so doch aufwärts. Ich sehe, auf Fahrt. Die „Bremen" rollte so langsam. Wenn ich bedenke, daß sie 130 Kilometer Stundengeschwindigkeit braucht, um sie vom Boden wegzuheben! Es geht die ersten 400 Meter, wenn auch wenig, so doch aufwärts. Ich sehe. mit einer solch schweren Maschine ist ein Start bergauf sehr schwer. Nach den ersten 400 Metern, weiß ich, ist der Platz eben und dann fällt er, und nach den ersten 400 Metern, da geht's dann auch schneller und schneller. Der zitternde Geschwindigkeitsmesser, der zuerst nicht über 80 kam, er steigt nun langsam und zittert sich über 100. Aber noch immer ist nicht die Geschwindigkeit erreicht, die mir Schünzinger vorrechnete, die Geschwindigkeit von 130 Stundenkilometern. Es geht schon abwärts und dem Platzrande zu. Ich sehe den weißen Strich inmitten der grünen Grasnarbe, dort, wo wir für 70 gute englische Pfund die Mauer haben niederreißen lassen, näher und näher kommen, und immer noch kann ich die „Bremen" nicht abheben. Der Geschwindigkeitsmesser zittert erst um 110 Stundenkilometer herum. Aber ich weiß: nach der Mauer, nach dem weißen Strich sind es nochmals 700 Meter und da hoffe ich bestimmt das Flugzeug vom Boden wegzubringen. Es wird schon gehen! Da — mitten in diesen Überlegungen — was war das? Fitzmaurice, der rechts neben mir sitzt und rechts aufpassen muß, reißt das Höhensteuer an, die Maschine hebt sich 1 bis 2 Meter hoch und senkt sich, weil noch nicht genügend Fahrt darauf ist, zu Boden, sie kommt ins Springen. Warum dies? Weshalb? Es ist keine Zeit für mich, diese Fragen jetzt zu klären. Jetzt hilft nur kalte Ruhe und Halten, Halten, ruhiges Halten des Steuers. Nach mehreren Sprüngen, deren ungeheurer Gefahr ich mir voll bewußt war, kommt die Maschine wieder in ruhiges Abrollen und holt die verlorene Fahrt auf. Wird die Wiese ausreichen, die hinter der niedergerissenen Mauer sich dehnt? Werden wir rüberkommen über den sechs Meter hohen Wall am Ende dieser Wiese, oder ist dort schon das Ende des Ozean-Fluges? Oder soll ich vielleicht vorher doch noch das Gas wegziehen und, wenn auch nicht die Maschine, so doch unser Leben dadurch retten? In den kurzen Sekunden geht dies alles durch den Kopf, und bei dieser angestrengten Gehirnarbeit halte ich den schweren Vogel so ruhig ich kann. Nur noch ganz kurze Entfernung bis zum Wall da schwebt die „Bremen". Sie schwebt wirklich, und im gleichen Moment müssen wir, beide Piloten, langsam das Steuer anziehen, um, die Hecke fast streifend, das erste Hindernis im Finge zu überwinden. — Der Start geglückt? Nein, noch nicht, da steigt vor uns ein Berg hinan. Die „Bremen" steigt zwar auch, aber der Berg, auf den wir zusteuern, steigt schneller. Die „Bremen" kann ihn so nicht überflügeln. Sie muß erst ihre freien Flügel im Luftmeer dehnen, sie muß auf Fahrt kommen, und in dieser Zeit kommt der Berg heran. Wieder kommen Sekunden des Zweifels, ob und wie wir diesem neuen Hindernis ausweichen. Wir kommen nicht hinüber, wir müssen abbiegen. Die „Bremen" neigt sich und dreht rechts ab vor dem nicht weichenden Berg, hinaus ins tiefe Tal. Bei der Kurve ist der Boden vom rechten Flügel kaum mehr einen halben Meter entfernt. Wir streifen damit die grünen Büsche, aber es geht schon abwärts und dies ist unsere Rettung. Nun kann die „Bremen" auf Fahrt kommen. Der Propeller wühlt in der frischen irischen Morgenluft und die Flügel tragen uns hinaus in die irische Landschaft, dem nahen Ozean entgegen.

Nun ist der erste, für mich schwerste Teil geglückt. Gott im Himmel sei Dank. Jauchzen und Jubeln erfüllt mich.

 

Ich stoße, wie immer nach solchen Momenten der Gefahr, einen Freudenjodler aus, einen Jauchzer wie in meinen bayerischen Heimatbergen, wenn ich dort die Höhen erklimme. Meine Augen suchen die meiner lieben Kampfgenossen, Fitzmaurice und Hünefeld. Ich drücke dem neben mir sitzenden Fitzmaurice fest, fest die Hand, und die Freude leuchtet aus unseren Augen. Wir streicheln zart und anerkennend die treue brave „Bremen", den Tourenzähler als Repräsentanten des Motors in unserem Sitz, die sich beide im schwierigsten Teil der Reise schon so tapfer gehalten haben. Mein Freund Hünefeld muß noch zwischen den großen Benzintanks ganz vorne nahe bei uns liegen. Unsere Augen verstehen sich besonders und unsere Gedanken sind wohl dieselben. Wir lesen sie uns gegenseitig ab: „Es ist doch gegangen; der Start, vor dem wir am meisten gebangt und der vielleicht der unsicherste Faktor im ganzen Unternehmen gewesen ist, ist gelungen", und ein befreiendes „Gott sei Dank" löst sich lautlos von unseren Lippen. Etwas später schreibe ich meinem Freund Hünefeld nachfolgende Zeilen: „Fünfzig Meter mehr, und es wäre schief gegangen. Wir drosseln schon feste, haben zweihundert Kilometer drauf. Werfen Sie eine Meldung über Galway ab mit diesen Mitteilungen. K." Der Freiherr nickt auf diese Mitteilung verständnisvoll mir zu; sprechen können wir nicht miteinander, das Brummen des Motors und das Donnern der Wellblechwände verhindern dies. Jetzt geht es frei über Irlands grüne Hecken und Wiesen und die Welt sieht für uns ganz anders aus. Wie schrecklich wäre es gewesen und welche Schande für uns, wenn jetzt die „Bremen" mit gebrochenen Flügeln und Fahrgestell am Platzende oder am Berge liegen würde. Wie recht hätten dann alle die Zweifler gehabt. Aber die Zweifel und den Erdenstaub lassen wir nun hinter uns. Das Land und die Menschen unter uns werden kleiner und kleiner. Mit 220 Stunden-Kilometern brausen wir dahin, unter uns ziehen Irlands Mauern, Wiesen und Hecken vorüber und wechseln ab mit Flüssen, Städten und Dörfern, aus denen Ruinen zu uns heraufragen und glitzernde Burgen. Was denkt sich da alles unser Fitzmaurice, der tapfere Irländer, wenn er dies alles nun so sieht und nochmals überblicken kann, bevor sein Lebensschicksal hinaus auf den ungewissen Ozean steuert. Er ist so froh und munter und träumt vielleicht schon von den Ehren, die ihm, wenn der Flug glückt, dort unten in seiner Heimat winken. So kann er noch Stunden träumen, bis die Sonne hinter den Wolken versinkt und die Stürme beginnen, die Nebelschwaden ziehen und die Nacht hereinbricht. Und wenn dann über den Wolken die Sterne gleich Irrlichtern die müden gequälten Augen täuschen und foppen, dann kommt der Kampf des schwachen Menschen mit den Elementen, mit den menschenleeren, winterkalten, trostlosen Waldstrecken, aus denen Hungertod und Erfrieren heraufgrinsen und denen wir nur mit dem letzten Benzin im Sparflug entrinnen werden.

 

Es ist ein herrlicher Morgenflug vor der Sonne her, die sich golden in unserem Rücken ankündet und deren Licht uns frohe Zuversicht gibt. Fitzmaurice übernimmt jetzt zum ersten Mal für zwei Stunden das Steuer. Ich beschäftige mich mit der Navigation, stelle die Windrichtung fest, lese auf dem Wind - Dreieck den Kurs ab und berechne unsere Geschwindigkeit. Wir haben unseren Motor schon lange etwas abgedrosselt, und trotzdem sind wir schneller als die irischen Flugzeuge, die uns begleiten sollen und unserem Fluge nicht zu folgen vermögen. Wir müssen sie hinter uns lassen, denn unser Ziel ist fern und Einsamkeit ist doch unser Begleiter über die weite Wasserwüste. Wir sind zwischen Baldonnel und Gaiway, da verschwinden vor uns die grünen Wiesen und weißliche niedrige Nebelschwaden heben sich wie ein Morgenkleid aus den Niederungen ab und steigen langsam empor.

Galway, dem wir unseren ersten und letzten Gruß zuwerfen wollten, hat sich unter den Nebeln versteckt, und nur eine Kirchenturmspitze ragt aus den Dunstschleiern hervor. Dafür ragen aber rechts und links von uns grau-blaue Berge empor, denen wir uns schnell nähern und die aus nächster Nähe zu uns heraufgrüßen, um bald hinter uns zu bleiben. Die Küste des Atlantischen Ozeans taucht auf. Niedere starre, graue Felsen, denen man den ewigen Kampf mit den stürmenden Winden und Wellen des Ozeans an ihren abgewaschenen staublosen Häuptern ansieht, ziehen unter uns vorüber. Sie sind die letzten Grüße von Europas Küste, die wir um 7.05 für lange, lange Zeit verlassen. Ein stiller Wärter und Warner der Schiffahrt liegt seitab von uns, einsam von weißen Schaumwellenkämmen bespült. Wir fliegen jetzt wieder tief und so nahe an diesem Leuchtturm vorüber, daß wir dem Leuchtturmwärter noch einen letzten Gruß zuwinken können. Ob er noch wacht oder der Ruhe pflegt, wissen wir nicht, aber wir haben hinterher erfahren, daß er unser Vorüberkommen der bange wartenden Welt gemeldet hat. Nach diesem letzten Gruß Europas begegnen wir noch einem Dampfer, der fernab von Südosten herannaht und dessen Rauchfahne mit ihm zieht. Wir können daran sehen, daß wir südliche Winde haben, die eine geschlossene Wolkendecke vor uns zwischen Himmel und Wasser schieben. Bei unserer rasenden Geschwindigkeit haben wir aber auch dieses letzte, Leben verratende Zeichen bald hinter uns gelassen.

Vor uns dehnt sich weit der unendliche Wasserspiegel, der im leichten Südwind zu erzittern scheint, Und wir freuen uns dieses leisen, lauen Südwindes; denn er hindert nicht unsere brausende Fahrt dem fernen Ziele zu. Das Meer ist so ruhig, wie ich es von meiner ersten Dampferfahrt nach Irland kennengelernt habe. Ich finde nicht die haushohen Wogen, von denen mir erzählt wurde, die von eisigen peitschenden Winden zu unermüdlichem Steigen und Fallen getrieben werden. Es gibt also doch Wetterlagen, bei denen wir mit unseren heutigen Flugzeugen uns hinauswagen dürfen. Aber eine vorsichtige Stimme in mir sagt: „Nicht zu früh frohlocken, das Meer ist so weit und in den verschiedenen Zonen so gänzlich verschieden. Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben, und die ungewisse Nacht steht uns auch noch bevor." Ich freue mich der Gegenwart und sehe mich vor der dunklen Zukunft vor.

Das gute Wetter scheint uns begleiten zu wollen. Die ersten zehn Stunden wechseln wir alle zwei Stunden das Steuer, dann alle Stunden. Der Kompaß-Strich, den wir fliegen wollen und den wir auf einer Tafel mit großen Zahlen vor uns aufgeschrieben haben, und die fernen Wolkenlichter, auf die wir zufliegen, sind das, was wir am meisten beobachten. Wir wenden den Blick nicht davon ab. Ich selbst beschäftigte mich wieder und wieder mit den navigatorischen Aufgaben, ich rechne und schreibe auf, beobachte den Wind ebenso wie den Benzinverbrauch aus den verschiedenen Tanks. Die ersten Stunden geht alles so normal wie nur möglich. Da wir etwas Gegenwind haben und wissen, daß dieser Gegenwind an der Wasseroberfläche am geringsten ist, so fliegen wir in zehn bis zwanzig Meter Höhe über den ruhigen dunkelblauen Wellen.

Bald nach Verlassen der Küste sieht die Wetterlage etwas schwieriger aus. Tiefe Wolken hängen hernieder, und leise rieselnder Regen kräuselt die Wasseroberfläche. Zwischen uns und der Sonne hängen tiefe Wolken, und sofort ist es in der Maschine kälter, so kalt, daß wir zu frösteln beginnen. Ein Südwestwind, stärker als vorher, drückt uns entgegen und wirft die Wellen von West nach Ost. In dieser Richtung ziehen schaumige Windadern in langgestreckten Bahnen daher. Sie zeigen uns ganz genau die Richtung des Windes an. Doch dies Wetter dauert nicht allzulange an, es wird bald wieder besser und helle sonnige Fernen tauchen hinter den dunklen Wolken auf und lassen uns froh den nächsten Stunden entgegensehen.

Da rumst der Motor, der Tourenzähler schnellt zurück, wir sind aus unseren kühnsten Träumen warnend herausgerissen. Das Geräusch war nur ein momentanes. Wir drosselten sofort den Motor und es ward nicht mehr gehört. Aber es erfüllte uns doch mit großer Sorge, denn weit draußen auf dem unendlichen Ozean, noch dreißig bis vierzig Stunden voraus, durfte mit solchen Geräuschen nicht gespaßt werden. Was war es? War dem Motor das Gasgemisch zu mager, oder war irgendein Zahnrad gebrochen oder ähnliches? Wir nahmen außer dem Drosseln auch noch die Zusatzluft weg und hörten angstvoll lange Zeit noch dem Klang des Motors nach, doch das aufmerksamste Ohr konnte auf die Dauer nichts mehr entdecken.So vergingen uns die Stunden. Des Steuernden Blick war auf die fernen Wolken gerichtet. Wir faßten das Steuer selbst kaum mehr an, die „Bremen" zog ganz allein über die weite Wasserwüste dahin. Der Mittag kam. Die Sonne, die hinter uns herzukriechen schien, sie kam nur langsam auf ihre Mittagshöhe, und lange Zeit verging, bis sie anfing, uns ins Gesicht zu scheinen. So war es nach Sonnenzeit Mittag geworden, aber unsere Uhren waren dieser Zeit schon um 1% Stunden vorausgeeilt. Nach allgemeiner Schätzung hatten wir also um diese Zeit etwa den 30. Längengrad überschritten. Da wir keinen Sextanten mitgenommen hatten, konnten wir die Sonnenhöhe selbst nicht messen. Die eine Feststellung genügte jedoch, uns über das Fortschreiten und die zurückgelegte Entfernung einigermaßen zu orientieren. Wir waren froh über die Feststellung; denn unsere Geschwindigkeit war noch über 170 Kilometer die Stunde. Der Motor arbeitete nun, immer mehr gedrosselt, wie ein Uhrwerk. Nach dem ersten Schrecken, den er uns eingejagt hatte, lief er ohne das geringste Nebengeräusch weiter, so daß er bald wieder unser vollstes Vertrauen errungen hatte.

Der L.-V.-Motor ist ja in seiner Konstruktion mit seinen sechs Zylindern so einfach und übersichtlich und so gut durchkonstruiert, daß nach einem regelmäßigen Lauf von zehn Stunden nicht anzunehmen ist, daß er bei genügender Benzinzufuhr nicht auch fünfzig Stunden weiterliefe.

Bis zum Mittag hatten wir etwa 1500 Kilometer hinter uns gebracht und hatten noch etwas mehr als 2000 Kilometer vor uns bis zur rettenden Küste; wir hatten also noch lange nicht die Hälfte der Strecke von Land zu Land überflogen. Um diese Zeit war es, daß wir uns am Steuer allstündlich abwechselten. So gegen neun Uhr morgens hatten wir das erste Frühstück im Flugzeug eingenommen, das aus starker Bouillon und feinen belegten Brötchen bestand. Jetzt war es Zeit zum Mittagessen. Das Mittagessen bestand aus denselben Gängen wie das Frühstück. Als Zusatz kamen lediglich noch einige Bananen und etwas Schokolade dazu. Die Bananen und die Schokolade steckte ich Fitz, der in dieser Zeit am Steuer saß, stückweise von Zeit zu Zeit in den Mund. Ich machte dann einen kleinen Mittagsschlaf, um mich für die kommende Nacht vorzubereiten. Auch im Schlafen wechselten wir uns ab. — Mein Schlaf war nicht besonders lang. Ich habe immer höchstens zehn Minuten geschlafen, dann gingen meine Augen wie von selbst wieder auf und überflogen den Kompaß und die anderen Instrumente. Da unser Flug scheinbar auch weiterhin so frisch vorwärts ging, ließ die freudige Erregung einen tiefen Schlaf bei mir nicht aufkommen. Ich hatte mir zwar schon beim letzten Flug vorgenommen, tüchtig zu schlafen, aber was ist begreiflicher, wenn das Interesse an all dein Neuen, was da vor uns ist, uns die Augen nicht schließen läßt. Ich wollte die Reise über den Ozean genießen und all das Interessante, was ich hier erleben konnte. Ich hoffte, nach der Reise mich genügend ausschlafen zu können. Bei meinem nächsten Flug werde ich aber doch ein Schlafmittel mitnehmen, falls der rechte Schlaf nicht kommt, denn nur so ist es möglich, vollkommen frisch und gut ausgeruht den Gefahren der Nacht begegnen zu können. Fitzmaurice hatte in der letzten Nacht in Irland auch einen großen Fehler dadurch begangen, daß er kaum zu Bett gegangen war und kaum geschlafen hatte. Infolgedessen schlief er jetzt noch halbe Stunden recht gut und dessen freute ich mich ganz besonders, weil ich wußte, wir brauchten es für die Nacht. Als unsere irische Uhr gegen 4 Uhr zeigte, frischte der Wind auf. Nach den Wellenkämmen, die wir unter uns sahen, schien es, daß der Wind von rückwärts kam. Um dies genau festzustellen, flog Fitzmaurice eine Kurve und ich warf zwei Rauchbomben der Firma Deichmann ab. Die eine schien nicht zu funktionieren, die zweite fiel wie ein gelbes Band nieder zu den Wellen, und als sie auf dem Wasser aufschlug, siehe da, da trieb dies gelbe Band in nordwestlicher Richtung weiter, und zwar ziemlich schnell. Meiner Schätzung nach hatten wir also Südostwind von mindestens zehn Meilen in der Stunde. Auf Grund dieser Feststellung gingen wir für die nächsten Stunden in größere Höhe. Wir flogen, die örtliche Westströmung voll ausnutzend, in 500 bis 600 Meter Höhe weiter. Jede Möglichkeit, vorwärts zu kommen, mußte ausgenutzt werden; denn weit, recht weit war der Weg vor uns noch. Ich hoffte mehr und mehr, möglichst schon bei Einbruch der Nacht die Lichter von Neufundland zu sichten. Ich wußte nicht, was uns bis dahin noch alles drohte.

Mochte es bisher noch so gut gegangen sein, das unglückliche Schicksal all der Flieger, die vor uns versucht hatten, den Ozean von Ost nach West zu kreuzen, ließ mich immer vorsichtig sein. Es war für mich eine dauernde Warnung, nicht zu früh zu frohlocken. In den Witterungsverhältnissen, wie wir sie bisher angetroffen hatten, sah ich keinen Anhalt dafür, wo die tapferen ersten Pioniere geblieben

waren.

Zu dieser Zeit schrieb mir Fitzmaurice, der ebenso wie ichden guten Fortgang des Fluges verfolgt hatte, auf ein

Stückchen Papier: „Wir werden die Leuchttürme auf Neufundland anscheinend noch bei Beginn der Nacht sehen."

Ich hatte dieselbe Hoffnung und wünschte nur, daß er recht hätte. Ich schrieb ihm auf demselben Zettel zurück: "Gott ist mit uns und mit unserem Werk." Und so war es auch.

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