Nacht, die kein Ende nimmt Die Sterne als Wegweiser -  Land oder Wasser? Der „Dampfer" im Eis Landung auf Greenly Island

Fünf Stunden nichts als Nacht — noch nicht einmal den Nebel sah ich. Meine Taschenlampe blitzte immer wieder auf und beleuchtete den Kompaß. Die Augen waren müde und schmerzten. Aber frohe Hoffnung erfüllte mich: wir hatten ja noch für viele Stunden Benzin und konnten ein Verfliegen am Morgen wieder ausgleichen. Ich schloß manchmal die brennenden Augen und kämpfte gegen jedes Müdigkeitsgefühl an. Es gelang auch.

Wir stiegen langsam. Ich wollte nicht zuviel Gas geben und beobachtete sorgsam mein Thermometer. Es war gefallen, wir hatten 2° Wärme. Also würde ein Vereisen nicht eintreten. Wir mußten jetzt über Land sein, aber im Wolkenmeer war kein Licht zu sehen. Die müden Augen sahen Irrlichter. Ich vermeinte bald hier, bald dort was aufblitzen zu sehen. Aber aus Erfahrung wußte ich, daß hier äußerste Vorsicht geboten war; es durfte keiner Täuschung nachgegangen werden, sonst waren wir verloren Das Kompaßfliegen war jetzt recht schwer.

Immer wieder die blendende Taschenlampe aufblitzen lassen zu müssen und dann im grellen Lichtschimmer den augenblicklichen Flugkurs zu kontrollieren, war schwer. Die Uhr wollte auch gar nicht vorwärts gehen — wenn nur die Sterne kamen, oder der Tag. Aber bis zum Tag war es noch lange. Die Nacht hatte hier zum mindesten acht Stunden, und wenn wir weit nach Westen kamen, sogar neun. Endlos lang schlichen die Minuten vorüber in der dunklen, stürmischen Nacht.

Es war jetzt gleich wieder so weit, daß der Kabinen-Benzintank leer sein konnte. Wir waren mehrmals hochgegangen und dann wieder runtergekommen in dichtem Nebel. Um 7.30 irischer Zeit fiel der Benzinstand im Schauglas wieder. Es wurde umgeschaltet und mit den Handpumpen gepumpt. Der Benzinverbrauch war diesmal zu groß gewesen. Dreieinhalb Stunden zu früh waren die Tanks leer. Ich hatte allerdings im Nebel die Zusatzluft weniger aufgedreht und mußte immer mit viel Gas fliegen. Als wir fertig waren mit dem Umschalten, da lag die „Bremen" mal wieder in der Kurve und der Kompaß rotierte. Mit dem Askania ließ sich aber langsam wieder auf den Kurs kommen. Ich bediente das Seitensteuer nach meiner besonderen Art, trat links, trat rechts, und so fort, und schon schlug der Kompaß in der gewünschten Richtung aus. Es ging eigentlich gut, recht gut für den ersten langen regelrechten Nebelflug, den ich gezwungenermaßen machte. Der Höhenmesser von Askania half mir auch recht gut. Die Höhe halten war nicht einfach, aber auch dies ging. Die Uhr schritt tapfer vorwärts, in einigen Stunden würde es tagen. Meine Hoffnung hatte sich sehr belebt, wir würden unser Ziel, den amerikanischen Kontinent, sicherlich erreichen.

Plötzlich wurde es etwas lichter im Wolkennebel, ich sah Lichter — Sterne waren es — und schon waren sie wieder weg und wir in neuen Nebeln. Ich wußte aber jetzt, daß wir, wenn wir hochgingen, über die Wolken kommen konnten, daß die Wolken nicht unerschwinglich hoch waren und daß wir, was mir die Hauptsache war, aus dem Tief herauskamen. Ich gab vorsichtig Gas: Die „Bremen" kletterte, und auf einmal glaubten wir beide, voraus Lichter zu sehen. Wir riefen es uns erfreut zu — aber es war ein Irrtum, Sterne, viele Sterne waren es, und sie flimmerten wie Leuchturmlichter. Immer wieder verschwanden sie oder wir im Wolkenmeer. Die Lichtblicke wurden aber immer länger und um 5.30 irische Zeit hatten wir über uns den Sternenhimmel. Unter uns wogte weiße Milch und dunkles Gewölk. Wir waren 2000 Meter hoch. Nun konnte ich das Steuer an Fitz geben und mich uni die Navigation kümmern. Wo mochten wir sein? Unten war nichts zu sehen, so suchte ich den Polarstern. Er war leicht zu finden, und dann verglich ich den Kompaß mit ihm. Der Kompaß schien mir verrückt geworden zu sein, er zeigte so ganz anders an. Wir mußten sehr weit nach Norden abgekommen sein, wie weit, konnte ich nicht feststellen. Wir suchten uns Sterne aus für unsere Richtung. Fitzmaurice flog und ich mußte meine Augen schließen — ich konnte nicht mehr. Ich wollte einen Stern festhalten, ich konnte nicht, er ging mir verloren. Ich schlief fünf Minuten. Im Schlafe noch sah ich .die Sterne blitzen und kreisen. Der kurze Schlaf und der Rest des Kaffees hatten mich wieder frisch gemacht, es ging wieder, und nun sollte Fitz ein wenig schlafen, er hatte während der Nacht auch kaum die Augen geschlossen.

Es wurde jetzt klar und die Wolken unter uns verschwanden plötzlich. Eigenartige Gebilde tauchten da unten auf. Weiß, viel Weiß, und dazwischen langgestreckte schwarze Stellen. Eisberge glaubte ich zu sehen. War es Land oder Wasser, ich konnte es nicht erkennen. Ich glaubte fälschlicherweise an Eisberge auf dem Meer. Es war aber Land, da unter uns. Nach dem Polarstern hielten wir nun Südwestkurs. Fitz sagte mir „Labrador", und ich glaubte es auch, war aber erst sicher, als Fitz einige Leuchtkugeln abgeschossen hatte, in deren Lichtschimmer er Wald und Schnee erkannte. Unsere Freude war groß. Nach Südwest ging unser Flug weiter. Endlich kam Licht an den Horizont, der Mond ging linker Hand auf und im Osten dämmerte es. Wir sahen jetzt hohe Berge um uns, denen wir ausweichen mußten und bei denen wir Böen von ungeheurer Heftigkeit erhielten. Einmal, vor einem hohen Berge, flogen wir mit dem Kopf ordentlich gegen die Decke des Flugzeuges. Wie mag das Freiherrn von Hünefeld in der Kabine bekommen sein?

Wir waren der Meinung, daß wir uns nun auf dem amerikanischen Kontinent befanden, wo, war uns allerdings nicht klar. Sehr weit nördlich mußte es sein, denn unter uns war immer nur Schnee und dunkler Wald.

Unser Öltank war wieder voll; diese Sorge war uns genommen. Es hatte sich eine Unterlassung gerächt. Das Überlassen des Öls aus dem Reservetank in den Haupttank hatten wir nicht geübt. Beim Überlassen lief Öl direkt ins Schauglas. Wir glaubten nun einen vollen Tank zu haben und stellten ab — und das Öl im Schauglas verteilte sich im Tank. Deshalb das rasche Sinken, das uns so bittere Stunden bereitet hatte.

Die Sonne kam mit ihrer Helligkeit und fand mich wieder frisch und munter. Unter uns Land. Schneeige Höhen wechselten mit waldigen Hängen bunt ab. Täler durchzogen das Land. In unserer Höhe kamen wir aber nicht weiter. Wir hatten starken Südwestwind, das Vorwärtskommen war schwer. Wir gingen tiefer und flogen einem offenen Flußlauf nach, der uns an langgestreckte Seen brachte. In zehn Meter Höhe ging's nun im Tal dahin. Die Berge überragten uns. Bei den Windungen mußte ich manches Mal die Gasdrossel öffnen, damit wir über die Tannen am Hang hinwegkamen. Der Schnee schien tief zu sein. Wer hat euch Tannen gepflanzt, so forschten wir im Vorüberbrausen. Ich jubelte in den neuen Morgen hinein.

Weit unten im Südosten kam ein großer See. Dort unten mußten Menschen wohnen. Wir kamen hin, aber kein Haus, kein Weg, nichts verriet die Anwesenheit von Menschen. Diese Weite, dieses menschenlose Land wurde uns unheimlich. Aus unseren Mittelgerüsttanks flogen wir schon lange Stunden. Wir holten unsere Karten hervor und suchten. Wir hatten nur Seekarten von Labrador, und dort waren nur Flüsse und Seen eingezeichnet, aber so viele, daß wir nicht wußten, welcher Fluß es war. Wir nahmen wohl an, daß wir da und dort waren, aber wer garantierte uns, daß dem so war? Wir flogen weiter. Hohe Berge, plateauartig, mußten wir erklimmen und wurden von Böen geschüttelt. Hinter den Bergen würde wohl das Meer kommen, der St. Lawrence Golf oder so. Wir flogen darauf los, von Hügel zu Hügel, aber wir hatten uns getäuscht, unsere Sinne gaukelten uns langgestreckte Meeresküsten und Inseln im Meere vor. Fitz sah die Insel Anticosti im Meer. Wir flogen darauf los, aber es war Wald, Wald und wieder Wald, Schnee und kein Weg, keine Bahn, kein Haus. Mir wurde unheimlich zumute. Wo waren wir, wohin flogen wir? Die Sonne war hinter Strichwolken verschwunden, ich sah sie nicht, mein Kompaß zeigte Süd-West. Aber er tanzte viel, weil die „Bremen" von Böen geschüttelt wurde.

Unheimlich, diese Menschenleere. Fitz hatte beim Überfliegen des großen Sees geglaubt, eine Ansiedlung zu sehen. Ich machte kehrt und überzeugte mich, daß es Irrtum war. Auf unserer Uhr war es inzwischen 11 Uhr geworden. Wir stiegen hoch, 2200 Meter, keine Küste zu sehen. Das Fernglas wanderte von Hand zu Hand. Nichts als Wald, Schnee, Berge und Täler. Ein eisiger Schrecken überkam uns; wenn wir hier landen mußten, dann waren wir verloren, und womöglich reichte unser Benzin nicht mehr allzu lange. Ich bekam keinen gelinden Schrecken, wenn ich an die letzte Benzinkontrolle dachte, bei der wir die Tanks schon vier Stunden vorher leer hatten, als wir annahmen. Sollte vielleicht etwas defekt geworden sein, das einen höheren Betriebsstoffverbrauch hervorrief? All das überdachte ich in Eile und schrieb v. Hünefeld: „Wir haben vielleicht nur noch für einige Stunden Benzin, sind in unbekanntem Lande und müssen vielleicht notlanden." Was uns dann geschah, das sagten wir uns nicht, wir dachten aber alledas gleiche.

Was war zu machen? Fliegen bis zum letzten Tropfen Benzin, drosseln und so fliegen, daß wir noch möglichst weit kamen. Immer Richtung halten und Kurs, diesen Kurs insüdöstlicher Richtung, denn wir konnten ebensogut in Labrador sein wie auch im hohen Norden Kanadas.

Verloren waren wir, wenn wir nicht an die Küste kamen. Ich machte nun einen genauen überschlag über unsere Benzinvorräte. Die Mitteltanks zeigten in jedem Tank noch etwa 200 Liter an. Wir schalteten diese Tanks aus und pumptenzunächst die anderen Tanks völlig aus. Dabei holtenwir doch schon für eine Stunde und zwanzig Minuten heraus.Die angezeigten zweimal 200 Liter konnten ja nochlange reichen, aber da es dem Ende zuging, war es nichtsicher genug, ob nicht doch ein Fehler aufgetreten war.

Fast schlimmer wie ein Mißgeschick über den Wellen erschien uns diese unheimliche Möglichkeit.

Und nun begann ein Fliegen in Meterhöhe über die Tannen weg, die Hänge und Täler ausnutzend in rasender Fahrt. Wir zogen immer mehr die Zusatzluft auf und zogen dieGasdrossel zu. Der liebe gute Motor brummte und wollte sich's nicht gefallen lassen, es mußte aber sein. Gott seiDank, das Benzin nahm nur wenig ab, und wenn die Uhrrichtig anzeigte, dann reichte es noch manche Stunde.

Es war ein Rennen und Jagen auf Leben und Tod. Wir waren alle sehr ernst. Mit dem Fernglas und unseren wunden Augen suchten wir nach Wegen, nach Hütten, nach Rauch. Stundenlang nichts wie Wald und Schnee. Es wurde immer kälter und oben blies ein Südwind und packte auch uns noch, die wir am Boden dahinschlichen. Das Landschaftsbild nahm, je südlicher wir kamen, ein immer winterlicheres Gepräge an. Sollte unser Kompaß falsch anzeigen, sollten Störungsgebiete ihn ablenken? Auf der Seekarte stand eine ganz unheimliche Bemerkung: „Das Küstengebiet im nördlichen Teile des St. Lawrence Golfs ist reich an magnetischen Lokalstörungen." Die Sonne war nicht zu sehen. Vielleicht flogen wir gar nicht nach Südosten. Die Meßweisung von 35 bis 30° stimmte vielleicht gar nicht. Es blieb uns aber nur übrig, Richtung zu halten und ja nicht zu kreuzen. Im Süden lag nur die Rettung, lag unser Leben und Heil. Es wurde auf unserer Uhr 5 Uhr. Das Gelände stieg wieder an, ein felsiges Hochplateau kam heran. Die Luft wurde stürmischer und wieder so unglaublich böig.

Aber hinter dem Plateau änderte sich das Wetter. Es zogen eisige Nebel herauf und wurden in den Höhen zerrissen oder bedeckten den steinreichen Boden. In mir erwachte neue Hoffnung; wir gingen höher, um Übersicht zu bekommen, wo wir am besten durch den Nebel nach Süden durchdrücken konnten. Da sahen wir weite gefrorene Flächen. Fitzmaurice wollte rüber, er glaubte in der Ferne Land zu sehen. Mein Glas gab Aufklärung — offenes Wasser war es! Da flog ich nimmer hinüber, das Benzin konnte jetzt bald zu Ende sein! Dem Ufer entlang flogen wir nach Osten. Es war ein großer See oder der St. Lawrence Golf. Während wir uns dies noch überlegten, sah Fitzmaurice mitten im Eis einen scheinbar eingeeisten Dampfer. Durch mein Glas erkannte ich einen Leuchtturm — ein Haus stand daneben und viele Hütten waren in der Nähe.

Gerettet — gerettet! Wir stießen durch die ziehenden Nebelwolken hindurch und umkreisten die Insel. Das Haus war bewohnt, die Tür stand offen. Wir suchten einen Landungsplatz. Ein kleines vereistes Schneefeld vor einer elektrischen Leitung schien geeignet. Ich warf eine Rauchpatrone ab und stellte zu meinem Erstaunen fest, daß unten der umgekehrte Wind herrschte wie oben. Ich vergaß dabei daran zu denken, wie stark der Wind sein konnte. Wir landeten, ich gab noch zweimal Gas, um über eine Mauerbrüstung und einen Weg hinwegzukommen, und fing dann auf dem Eis ab. Die „Bremen" setzte sich sanft hin, sie rollte aber nicht, das Eis brach ein — die „Bremen" neigte sich nach vorne über und stand auf dem Kopf. Erst beim Öffnen des Verdeckes sahen wir, welch Sturm hier herrschte. Ich stieg als erster aus. Der Wind blies mich auf dem glatten Eise einfach weg. Fitzmaurice folgte und Freiherr v. Hünefeld. Leute kamen herbeigeeilt. Sie erzählten uns, daß wir tatsächlich in Kanada waren, und zwar in Greenly Island, an der Straße von Beile Isle.

Im Wind wurde die „Bremen" wieder aufgerichtet. Wir wollten sie, die mit den Rädern halb im Wasser stand, bergen. Unmöglich. Der Sturm riß uns selbst immer wieder auf das Eis und über die Felsblöcke zu Boden. Beim wiederholten vergeblichen Versuch, mit Tauen, welche von der hilfsbereiten Bevölkerung herbeigebracht worden waren, unsere liebe brave „Bremen" auf Land zu bringen, riß auch noch der rechte Achsschenkel heraus. Wir stellten unsere vergeblichen Versuche ein. Ich stieg selbst noch bis an die Knie ins kalte Eiswasser und ließ das Kühlwasser ab.

Mit dicken Tauen über die Flächen weg wurde die „Bremen" fest an den amerikanischen Boden gefesselt.

Der erste Transozean-Ost-West-Flug war hinter uns. Großes Erleben folgt heißem Kämpfen. Ein wunderbares Schicksal hatte es gefügt, daß wir dort den amerikanischen Boden berührten, wo eine kanadische Luftlinie endet, die ins Herz Kanadas führt und ihr Ende hat, wo die Eisenbahnen beginnen. 1200 Kilometer waren es bis Murray- Bav.

Es würde noch einige Tage dauern, bis die „Bremen" auf Schneekufen ihren Flug in die neue Welt hinein antreten konnte. Die 'Tage des Wartens auf Propeller und Schneekufen und Achse waren nicht verloren.

Hier formte sich schon Neues. Pläne für die Zukunft tauchten auf und mußten zur Wirklichkeit werden. Ich blickte beim Schreiben meines Berichtes hinaus durchs Doppelfenster. Blumen wie bei uns zu Hause grünten am Fensterbrett. Durchs Fenster sah ich in sonnendurchglänzte Fernen, über gewaltige Felsblöcke auf zackiges Packeis, das sich nach Süden dehnte und dort im offenen blauen Meere endete. Dahinter als dunkelblauer Streifen Neufundland, das Land der Eisnebel und die Sturmecke Nordamerikas. Meine Gedanken wanderten zurück zu den Fliegern, die als erste das Ziel zu erreichen versucht hatten. Nun wußte ich, wo überall der Tod lauerte, wo sie wohl geblieben waren.

Ihnen sei mein erster Gruß geweiht, den toten Helden. Volare necesse, vivere non est.

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